Eine Prüfung ?
In einer anderen Zeit, die doch verbunden ist mit dem ewigen Hier und Jetzt, in einer fernen Kultur, die doch nur einen Gedankenschritt von uns entfernt ist, wollte eine Frau die Ausbildung zur Priesterin beginnen. Priester und Priesterinnen waren in Luminarien, dem Land des Lichts, Menschen, die sowohl spirituelle Zusammenhänge lehrten als auch heilten und ganz praktische Hilfe leisteten. Sie waren Seelsorger, Lehrer, Heiler, Berater in allen Bereichen des Lebens.
Dementsprechend gingen sie vorher durch eine lange, umfangreiche Ausbildung, die auch Ansehen und Klärung der eigenen Licht- und Schattenseiten beinhaltete.
Als diese junge Frau den Ruf ihres Herzens spürte, diese Ausbildung zu machen, wurde sie zu einem Ritual in den Orden Luminariens eingeladen, das ihr zukünftiger Mentor für sie gestaltete. Sie hielt dieses Ritual für eine Aufnahmeprüfung.
Als ihr erklärt wurde, dass es darum ging, welche Beziehung sie zu ihren Gefühlen, besonders zu ihren Ängsten, habe und inwieweit sie zum Leben und zu sich selbst Vertrauen fassen konnte, fühlte sie sich unter immensem Druck. Jede Handlung dieses Rituals betrachtete sie unter der Fragestellung: Was wird jetzt erwartet? Was ist richtig? Was ist falsch?
Ihre Bemühungen, alles „richtig“ und „gut“ zu machen, lähmten sie derartig, dass sie bald kein Wort mehr herausbrachte.
Mitfühlend nahm der Priester, der sie durch dieses Ritual führte, ihre Hand. Da entlud sich der aufgestaute Erfolgsdruck in einem heftigen Weinen.
„Ja - das ist gut,“ ermutigte er sie, „lass deine Tränen fließen. Fühle, was du fühlst. Was immer du fühlst, es ist in Ordnung.“ Als sich ihr Tränenfluss beruhigte, beendete er das Ritual.
Die junge Frau wurde traurig, weil sie annahm, sie hätte die „Prüfung“ nicht bestanden. Wie erstaunt war sie, als ihr Mentor ihr sagte, dass er sich freue, sie in dem Orden als seine Schülerin willkommen heißen zu dürfen.
„Ich glaube, du hast dieses Ritual für eine Art Prüfung gehalten. Das war es aber nicht!“, erklärte er lächelnd und sprach weiter: „Es diente dazu, dass du erkennst, wie sehr du dich selbst unter Druck setzt, - und das brauchst du hier nicht und nirgendwo sonst.
Dass du hier willkommen bist, stand von Anfang an fest. Du konntest gar nicht durchfallen!“